Bild: The Fluffy Stuff

The Fluffy Stuff

"The Fluffy Stuff". So bezeichnet Frank Chege, Patient Liaison Nurse der London's Air Ambulance, seine Aufgabe, für die es hierzulande kein Pendant gibt. Kürzlich hat er in den alten Gemäuern der Barts and the London School of Medicine and Dentistry in Whitechapel über sein Tun, über "The Fluffy Stuff" referiert.

Patient Liaison Nurse

Was macht man als "Patient Liaison Nurse"? Auf der Website der Charity findet man unter "Our Impact" den Punkt "Patient Liaison": "If you have been treated by London's Air Ambulance and would like to know more about the treatment you received or have unanswered questions, please contact: Frank Chege, Patient Liaison Nurse". Er hält den Kontakt zu Patienten und Angehörigen. Er ist Anlaufstelle, gibt Auskünfte, begleitet sie. Und sammelt dabei Eindrücke und Geschichten der Patienten, die es ohne ihn nur in Ausnahmefällen bis zum Team aus Ärzten und Paramedics schaffen würden.
 

Impact

Sein Vortrag thematisiert, welch weitreichende Folgen ein Trauma für einen Menschen haben kann. Welchen “Impact” das professionelle Trauma Team aus dem roten Hubschrauber machen kann. Medizinisch, aber auch Menschlich. Den Impact den Fremde, Freunde und Familie machen. Jetzt, direkt am Unglücksort, während den Stunden in der Notaufnahme, den Tagen und Wochen im Krankenhaus, den Wochen und Monaten Zuhause. Während der Rehabilitation, im Berufs- und Sozialleben. Im gesamten weiteren Leben. Oder nach dem Leben. Nach dem Nicht-Überleben. Er sprach vom "Impact" auf Patienten und Angehörigen. 

Dieser “Impact”, bzw. unser “Wirken” ist durchaus eine Überlegung wert. Als Notfallmediziner “wirkt” man immer und in vielerlei Hinsicht.
 

So wie man nicht Nicht-Kommunizieren kann, kann man auch nicht Nicht-Wirken. Dessen muss man sich bewusst sein.


Frank Chege schafft ein Bewusstsein für die Tragweite mancher Notfälle. Nicht im Sinne der innerklinschen Weiterversorgung. Die echte Tragweite. Die, die so viel weitreichender ist, als nur bis zum “konnte in die häusliche Pflege entlassen werden” am Ende eines Entlassungsbriefes, erstellt aus vorgefertigen Textbausteinen.

Um all das geht es in Wirklichkeit genauso am Notfallort. Für die Rettungsteams nicht sofort und manchmal nie. “Treat first what kills first”. Aber für unsere Patienten und ihre Angehörigen. Frank Chege gibt seine Erfahrungen aus den Gesprächen mit Patienten und Angehörigen weiter. So kann er dem Behandlungsteam dabei helfen, besser zu verstehen, wie es ihren Patienten und ihren Angehörigen in der vielleicht schlimmsten Situation ihres Lebens geht. Wie sie diese Situationen erleben, was sie dann brauchen und auch, wie man dem besser gerecht werden kann.
 

Alles hat seine Zeit

Er spricht über die Notwendigkeit der aggressiven, auch maximal-invasiven Therapie. Darüber, alles zu geben und alles zu tun um den Patienten vielleicht zu retten. Und den Zeitpunkt, an dem das Pendel in die andere Richtung ausschlägt. Die Priorität sich von "Behandlung" vielleicht zur “Betreuung” vom Patienten oder zu den Angehörigen hin verlagert.
 

Unser Training

Eine Überlegung wert ist auch, was es mit uns macht, wenn wir an leblosen Plastikpuppen lernen und trainieren. Dass wir auch sie im Training zudecken müssen, wenn wir wollen, dass die Intimsphäre unserer Patienten nicht erst bei "E" Beachtung findet. Und selbst dann nur, wenn ABCD dies erlauben.

Er sagt, dass es viel schwierigere Dinge als RSI's, Thorakotomien und REBOA gibt. Mit einer Mutter zu sprechen, zum Beispiel, deren Kind gerade verstorben ist. Auf ihre Reaktionen und Fragen vorbereitet zu sein. Worte parat zu haben, die man im Nachhinein nicht bereut. Weil sich die Mutter für immer daran erinnern wird, was man gesagt ihr hat. Oder was man ihr nicht gesagt hat. Was man den Kollegen zugeflüstert hat. Und dass dies trotzdem nur selten geübt wird. Kaum jemand fragt im Rahmen der Fallbesprechung eines Polytraumatas “und was habt ihr zur Mutter gesagt?".
 

"The Fluffy Stuff" ist in Wirklichkeit nicht fluffy. So wie Softskills in Wirklichkeit nicht soft sind.


Alle reden über Kommunikation

Aber kaum jemand über die mit den Patienten. Oxfords Handbook of Prehospital Care behauptet von sich, für alles was einem in der Präklinik begegnen kann, etwas parat zu haben. Aber es gibt kein Kapitel über Fluffy Stuff. Frank Chege zeigt mit seinem Vortrag eine Lücke in unserer Ausbildung und Fortbildung auf. Und er füllt sie mit einer gewaltigen Empathie, schrecklich realen wie bedrückenden Fallbeispielen und der nackten Ehrlichkeit, dass diese Sachen zu den schwersten überhaupt gehören. Seine Erfahrungen aus den Gesprächen mit Patienten, seine Fragen und Anregungen ziehen nicht spurlos an einem vorbei. Am allerwichtigsten aber, er füllt mit seiner Arbeit eine Lücke in der Versorgung von Notfallpatienten.

Der Vortrag von Frank Chege war für mich zweifelsfrei einer mit größtem Impact.
 

Aufzeichnung

Leider wurde der Vortrag in Whitechapel nicht aufgezeichnet. Glücklicherweise aber wurden die Big Sick Sessions 2022 in Zermatt aufgezeichnet und von scanfoam.org auf Youtube zur Verfügung gstellt. Eine, wenn auch wesentlich kürzere Fassung des Vortrags wurde dort gehalten und ist deshalb online verfügbar. Wenn der Artikel nicht genug Motivation ist, den Vortrag anzusehen, tut er ihm unrecht. Dieser Vortrag ist definitiv sehenswert.

Videodatei: http://www.igni.at/uploads/data/Big_Sick_22_-_LAA_-_The_Fluffy_Stuff_by_scanfoam.org.mp4
Auf Youtube ab 1:28:00h: https://youtu.be/DprANN28Lww?list=PL8CiAJsY9OQzWHrXyxekdIuCk0YDr7saO&t=5280